VGH München, Urteil vom 20.06.2023 – 9 N 21.2234

 

Der Fall:

Die Antragsteller wenden sich im Normenkontrollverfahren gegen die Festsetzung einer privaten Grünfläche auf ihrem Grundstück.

Die Entscheidung:

Der VGH bestätigt die Einwendungen der Antragsteller nicht. Nachdem im Normenkontrollverfahren der Bebauungsplan aber objektiv und umfassend zu prüfen ist, kommt der VGH unerwartet auf anderem Weg zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans:

Dieser soll an einem beachtlichen Verkündungsmangel leiden, weil die in den textlichen Festsetzungen in Bezug genommene DIN 04.01.2009-1:2018-01 „Schallschutz im Hochbau“ nicht öffentlich zugänglich ist. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme in diese DIN-Normen findet sich weder im Plan noch in der Bekanntmachung. Damit sei aber den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Der VGH weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung hin, wonach die Gemeinde sicherstellen muss, dass die Betroffenen von der jeweiligen Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Vorliegend sei dies nicht der Fall, sodass der Betroffene davon ausgehen müsse, Kenntnis von den Normen nur durch kostenpflichtigen Erwerb des entsprechenden Regelwerks erlangen zu können. Aus rechtsstaatlicher Sicht bedürfe es daher eines entsprechenden Hinweises dahingehend, dass auch in die jeweilige DIN-Norm Einblick gewährt werden muss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.08.2016 – 4 BN 24.16).

Dieser Fehler sei nach § 114 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BauGB auch beachtlich, weil der mit der Bekanntmachung verfolgte Hinweiszweck nicht erreicht werde. Allein wegen dieses Verkündungsmangels wurde der Bebauungsplan daher für unwirksam erklärt.

In der Entscheidung weist der VGH abschließend darauf hin, dass ein solcher Fehler leicht im Wege des ergänzenden Verfahrens nach § 114 Abs. 4 BauGB korrigiert werden kann.

Praxishinweis:

In dieser Entscheidung zeigt sich wieder einmal die Problematik, dass zahlreiche gesetzliche Vorgaben – so auch Bebauungspläne – letztlich nicht mehr ohne die kostenpflichtigen Regelwerke wie insbesondere DIN-Normen auskommen, die urheberrechtlich geschützt sind und nicht ohne weiteres veröffentlicht werden dürfen (z.B. Allgemeine Vervielfältigungsbedingungen des DIN e.V. unter https://www.din.de/resource/blob/791316/9ebcc9879f41d7ae47fafbb0142aac1f/vervbedallgemein-2020-data.pdf). Zugleich besteht aber die Verpflichtung der Gemeinden, sicherzustellen, dass Betroffene nicht vom Bebauungsplan selbst, sondern auch von allen in Bezug genommenen Regelwerken verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können.

Planern und Gemeinden kann daher nur dringend empfohlen werden – zumindest in den Festsetzungen der Bebauungspläne – nach Möglichkeit auf Verweise auf solche Regelwerke zu verzichten.

Ist dies nicht möglich, so muss zumindest in der Bebauungsplanurkunde oder alternativ in der ortsüblichen Bekanntmachung darauf hingewiesen werden, dass das in Bezug genommene Regelwerk bei der Verwaltungsstelle, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann, zur Einsicht bereitgehalten wird, und zwar unter Angabe von Ort und Zeit.

Keine entsprechende Verpflichtung besteht demgegenüber – zumindest nach der bisherigen Rechtsprechung im Hinblick auf Verweise – außerhalb der Festsetzungen, also in Hinweisen, in der Begründung oder in den Anlagen zur Begründung (hier insbesondere in umweltbezogenen Stellungnahmen), weil und solange diese keine Regelungswirkung im Hinblick auf die Voraussetzungen der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Vorhabens entfalten.

Klarzustellen ist weiter, dass sich die hier definierten Anforderungen nur auf die Verkündung, also auf die Bekanntmachung des „fertigen“ Bebauungsplanes beziehen und keine Geltung für die Öffentlichkeitsbeteiligung nach § 3 Abs. 2 S. 1 BauGB entfalten (so zumindest die bisherige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.08.2016 – 4 BN 23.16). Jedenfalls gilt auch hier, dass Verweise außerhalb von Festsetzungen – hier konkret in umweltbezogenen Stellungnahmen – keine Pflicht begründen, die in Bezug genommenen technischen Regelwerke auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sofern diese technischen Regelwerke den Stellungnahmen nicht beigefügt sind (in diesem Fall gilt natürlich die Verpflichtung, die Stellungnahmen vollständig und damit einschließlich der Regelwerke zur veröffentlichen).

Gerade mit Blick auf die Probleme, die sich aus einem Verkündungsmangel ergeben, tun Planer und Gemeinden gut daran, Risiken möglichst auszuschließen: Im Zweifelsfalle sollten die jeweiligen technischen Regelwerke stets zur Einsicht bereitgehalten werden. Hierauf ist im Bebauungsplan oder der Bekanntmachung hinzuweisen.

 


Rechtsanwältin Kathrin Schilling

Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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