Auf eine doppeldeutige Ausschreibung kann weder die Aufhebung der Ausschreibung wegen des Nichtvorliegens von wertbaren Angeboten noch der Ausschluss der Angebote wegen fehlender Unterlagen im Hinblick auf die vom Auftraggeber geforderten Referenzen gestützt werden.

VK Nordbayern, Beschluss vom 08.03.2023 – RMF-SG21-3194-7-30

 

Der Fall

Eine Kommune schreibt Befahrungsleistungen und das Erstellen von Panoramabildern / Laserscans europaweit aus. Im Vertragszeitraum sollen zwei Befahrungen des Stadtgebiets im Abstand von 24 Monaten durchgeführt werden. Als Eignungsnachweis werden mindestens fünf vergleichbare Referenzen für bereits durchgeführte Bereitstellungen von Panoramaaufnahmen und Laserscans aus den Jahren 2020 bis 2022 verlangt. Der Bieter A legt Referenzen von fünf Städten vor. Eine Referenz stammt aus 2019 und wird als zu alt zurückgewiesen. Die Vergabestelle geht daher von vier Referenzen aus und schließt das Angebot des Bieters A wegen fehlender Eignung aus. Da keine anderen wertbaren Angebote vorliegen und das Ergebnis zudem unwirtschaftlich sei, wird das Verfahren zudem aufgehoben. Hiergegen wendet sich der Bieter A. Aus seiner Sicht hat er acht Referenzen vorgelegt, da bei einigen Städten Mehrjahresverträge bestanden und Befahrungen pro Jahr als eine Referenz zu werten seien.

 

Die Entscheidung

Die Vergabekammer stellt fest, dass die bekannt gemachten Eignungskriterien doppeldeutig und damit unklar sind. Das strittige Referenzkriterium verlange nicht explizit, dass die Nachweise von Panoramaaufnahmen aus verschiedenen Städten stammen müssen bzw. dass einzelne Befahrungen nicht als Referenznachweis zählen würden. Das Verständnis des Bieters A lasse sich daher nachvollziehbar mit dem Wortlaut der Bekanntmachung vereinbaren. Der Nachweis der Eignung werde durch die Befahrungskilometer in einem gewissen Zeitraum dokumentiert, unabhängig davon, in welcher Stadt dies stattfindet.

Die Doppeldeutigkeit des Referenzkriteriums ist als Verstoß gegen den Transparenzgrundsatz (§ 97 Abs. 1 S. 1 GWB) vergaberechtswidrig. Diese Intransparenz geht zu Lasten der Vergabestelle. Das Angebot des Bieters A hätte demgemäß nicht ausgeschlossen werden dürfen.

Die Vergabestelle konnte das Verfahren auch nicht wegen Unwirtschaftlichkeit nach § 63 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 VgV aufheben. Im Rahmen der Aufhebungsentscheidung ist das Anstellen von Ermessenserwägungen und deren Dokumentation erforderlich. Die Ermessenserwägungen müssen alle betreffenden Aspekte behandeln und insbesondere auf die berührten Interessen der Bieter, mögliche Handlungsalternativen gegenüber der Aufhebungsentscheidung und ggf. auch auf Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eingehen. Dies war vorliegend nicht der Fall. Wegen der hohen Relevanz einer Aufhebungsentscheidung und damit auch deren Begründung ist das Fehlen von Ermessenserwägungen zum Nichtvorliegen eines wirtschaftlichen Ergebnisses im Aufhebungsvermerk erheblich und insoweit ist das Nachschieben von Ermessensabwägungen nicht möglich.

Die Aufhebung ist somit rechtswidrig. Da eine Diskriminierung des Bieters A nicht ersichtlich ist und sachliche Gründe für die Aufhebung vorliegen (Referenzkriterien unklar), ist die Aufhebung aber dennoch wirksam. Für eine Vergabestelle besteht grundsätzlich kein Zwang, das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag zu beenden.

 

Praxishinweis

Grundsätzlich muss ein Bieter Vergaberechtsverstöße nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 GWB innerhalb einer Frist von 10 Kalendertagen ab Kenntnis, spätestens bis zur Angebotsabgabe rügen. Bei intransparenten Vergabeunterlagen kann hingegen nicht von einer Erkennbarkeit ausgegangen werden, wenn die Deutung des Bieters nachvollziehbar war, so dass eine Verletzung der Rügeobliegenheit ausscheidet.

Ein Wermutstropfen für den Bieter ist die Tatsache, dass ihm zumindest ein Schadensersatzanspruch zusteht, wenn eine rechtswidrige Aufhebungsentscheidung wegen des Vorliegens eines sachlichen Grundes für die Aufhebung dennoch wirksam ist (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2022 – XIII ZR 9/20).

 


Rechtsanwältin Kerstin Irl, LL.M.Eur.

Fachanwältin für Vergaberecht

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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