VGH München, Beschluss vom 01.02.2024 – 9 CS 23.1963
Der Fall:
Dem Bauherrn wird die Baugenehmigung für Abbruch und Neuerrichtung eines Wohnhauses in Form eines Doppelhauses, also als Anbau an ein bestehendes Wohnhaus auf dem Nachbargrundstück, erteilt, und zwar unter Abweichung von den im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen. Vorgesehen sind im Vergleich zum Nachbargebäude eine erhöhte Ausführung, eine andere Dachneigung und eine Abweichung der Gebäudelängen, zumal die Gebäude auch noch versetzt zueinander stehen sollen. Auch hinsichtlich der Geschossigkeit unterscheiden sich die Gebäude deutlich.
Gegen diese Genehmigung erheben die Nachbarn Anfechtungsklage und stellen zugleich einen Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Im Verfahren tragen die Nachbarn vor, der Charakter eines Doppelhauses sei nicht gewahrt, so dass Abstandsflächen einzuhalten seien. Der Bauherr argumentiert u.a. damit, dass das Nachbarhaus selbst unter Verletzung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen errichtet sei (diese werden mit ca. ¼ der Grundfläche überschritten), sodass die Nachbarn selbst gegen das wechselseitige Austauschverhältnis verstoßen hätten und sich daher nicht auf den Nachbarschutz aus der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Doppelhausrechtsprechung berufen könnten.
Das Verwaltungsgericht folgt der Argumentation der Nachbarn und ordnet mit Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage an. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Bauherrn.
Die Entscheidung:
Der VGH weist die Beschwerde zurück mit der Begründung, das Vorhaben erscheine bei summarischer Prüfung als nicht genehmigungsfähig, weil es mit der im Bebauungsplan festgesetzten offenen Bauweise nicht vereinbar sei: Zugelassen seien demnach nur Einzelhäuser, Doppelhäuser und Hausgruppen, vorliegend handele es sich aber nicht um ein Doppelhaus.
Ein Doppelhaus besteht aus zwei an einer seitlichen Nachbargrenze zu einer baulichen Einheit aneinander gebauten, im Übrigen jedoch freistehenden Gebäude. Hier stellt der VGH nochmals ausdrücklich klar, dass es für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude ankommt. Ein Doppelhaus liegt demnach nur vor, wenn es den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, weil es als ein Gebäude erscheint. Dabei ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls vorzunehmen, wobei qualitative und quantitative Kriterien nicht isoliert betrachtet werden dürfen, denn es ist ebenso denkbar, dass größere quantitative Abweichungen bei deutlich einheitlicher Gestaltung hingenommen werden können, wie es vorstellbar ist, dass eine deutlich abweichende Gestaltung in ihrer Wirkung gemildert wird, weil Gebäudeteile in quantitativer Hinsicht sehr übereinstimmen. Insbesondere sind auch Fälle denkbar, in denen erst das Zusammenwirken quantitativer und qualitativer Kriterien den Charakter eines Doppelhauses entfallen lassen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die gemeinsame Gebäudehöhe für das Maß der Übereinstimmung beider Gebäude, weil dieses nach außen besonders sichtbar wird.
Nach diesen Grundsätzen liegt nach Einschätzung des Gerichts kein einheitlicher Baukörper vor, sondern zwei selbstständige Gebäudeteile.
Hierauf können sich die Nachbarn auch berufen, weil die Doppelhausfestsetzung der offenen Bauweise nachbarschützend ist, und zwar unabhängig davon, dass sie selbst die im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen überschreiten:
Zwar sei ausweislich einer Entscheidung aus dem Jahr 2018 hiervon abweichend Nachbarschutz nicht gegeben, wenn die vom Bebauungsplan abweichenden Fakten einseitig vom Nachbarn vorgegeben werden und das Vorhaben des Bauherrn demgegenüber vollständig innerhalb der festen Baugrenzen liegen soll. Ein solcher Fall sei aber vorliegend nicht gegeben, weil weder die Nachbarn die ursprüngliche Bebauung einseitig vorgegeben hätten (vielmehr sei die Bebauung beider Grundstückshälften ursprünglich untereinander abgestimmt gewesen), noch solle das geplante Vorhaben des Bauherrn vollständig innerhalb der Baugrenzen errichtet werden. Nach dieser Maßgabe spreche vieles dafür, dass sich die Nachbarn auf die nachbarschützende Wirkung der Doppelhausfestsetzung berufen können.
Praxishinweis:
Die Einordnung als Doppelhaus ist und bleibt eine Einzelfallentscheidung, die von einer Vielzahl an Aspekten und letztlich vom „subjektiven Eindruck“ abhängt. Damit geht stets eine gewisse Unsicherheit einher, die nur durch vorhergehende Abstimmung mit dem Nachbarn und der Genehmigungsbehörde halbwegs sicher ausgeräumt werden kann. In Zweifelsfällen hat es sich in der Vergangenheit auch durchaus ausgezahlt, wenn in Zusammenhang mit der Errichtung einer Doppelhaushälfte „anpassende“ Maßnahmen am Nachbarhaus finanziell unterstützt oder sogar vollständig übernommen werden. So oder so ist in jedem Einzelfall eine sorgfältige Prüfung der Qualifikation als Doppelhaus und der Möglichkeiten in Zweifelsfällen erforderlich.
Rechtsanwältin Kathrin Schilling
Fachanwältin für Verwaltungsrecht
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
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