BVerwG, Beschluss vom 05.05.2025 – 4 B 25.24
Der Fall:
Der Fall dreht sich um eine Beseitigungsanordnung gegen ein Bestandsgebäude, das ursprünglich als Wochenendhaus genehmigt wurde, lange leer stand und nun zu Wohnzwecken genutzt wird. In der näheren Umgebung finden sich weitere Wochenendhäuser, die teils seit langem ebenfalls dauerhaft bewohnt werden und gegen die nun ebenfalls vorgegangen werden soll. Ein Bebauungsplan existiert nicht, zwischenzeitlich ist der Bereich als Überschwemmungsgebiet festgesetzt.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage wird u.a. damit begründet, dass das Vorhaben zumindest in der Vergangenheit materiell rechtmäßig gewesen sei, weil die umgebende Wohnnutzung zwar nie genehmigt, aber tatsächlich vorhanden und demnach bei der Frage des Einfügens nach § 34 BauGB zu berücksichtigen gewesen sei. Das Vorhaben sei mithin materiell bestandsgeschützt.
Das Verwaltungsgericht folgt dieser Argumentation und hebt den Bescheid auf.
Im Berufungsverfahren hebt das OVG die Entscheidung auf:
Das Vorhaben genieße keinen formellen Bestandsschutz, weil ursprünglich nur die Nutzung als Wochenendhaus genehmigt wurde, diese Nutzung aber so nicht erfolgt ist bzw. jedenfalls endgültig aufgegeben wurde, so dass die Genehmigung erloschen sei.
Das Vorhaben sei auch materiell nicht bestandsgeschützt, weil die Wohnnutzung zu keinem Zeitpunkt zulässig war. Das Gebiet sei niemals von Wohnnutzung (mit-)geprägt worden:
Bei der vergangenheitsbezogenen Prüfung materiellen Bestandsschutzes könne illegale Bebauung in der näheren Umgebung nur dann im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB berücksichtigt werden, wenn die zuständige Behörde damals zweifelsfrei – im Sinne einer aktiven Duldung – zu erkennen gegeben hatte, sich damit dauerhaft abzufinden. Von einer Duldung einer illegalen baulichen Nutzung in diesem Sinne sei im Regelfall aber erst dann auszugehen, wenn die Bauaufsichtsbehörde in Kenntnis der Umstände zu erkennen gibt, dass sie sich auf Dauer oder für einen zum Zeitpunkt des Einschreitens noch nicht abgelaufenen Zeitraum mit der Existenz dieser Nutzung abzufinden gedenkt. Angesichts des Ausnahmecharakters und der weitreichenden Folgen einer solchen Duldung, als deren Folge die Behörde an der Beseitigung rechtswidriger Zustände gehindert wäre, müsse den entsprechenden behördlichen Erklärungen mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sein, ob, in welchem Umfang und gegebenenfalls über welchen Zeitraum die illegale bauliche Nutzung geduldet werden soll.
Berücksichtigung finden könne daher nur solche tatsächlich vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung eines Vorhabens, von der rückblickend sicher angenommen werden kann, dass die zuständige Behörde nicht gegen sie eingeschritten wäre, wenn sie sich zu ihr verbindlich ‑ insbesondere im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens ‑ hätte verhalten müssen.
Von der aktiven Duldung zu unterscheiden sei die bloße faktische Hinnahme eines baurechtlich illegalen Geschehens für eine längere Zeit. Diese hindere die Bauaufsichtsbehörde nicht, ihre bisherige Praxis zu beenden und auf die Herstellung baurechtmäßiger Zustände hinzuwirken. Ein solcher Fall liege hier vor.
Gegen die Nichtzulassung der Revision erhob die Klägerin Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht.
Die Entscheidung:
Das Bundesverwaltungsgericht weist die Beschwerde zurück.
Das OVG sei richtigerweise von dem Rechtssatz ausgegangen, dass für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich die vorhandenen nicht genehmigten baulichen Nutzungen ungeachtet ihrer materiellen Zulässigkeit (nur) zu berücksichtigen sind, soweit sie in einer Weise von den zuständigen Behörden geduldet werden, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich damit abgefunden haben. Dies sei hier nicht der Fall.
Praxishinweis:
Die Entscheidung kombiniert zwei in der Praxis wichtige Themen:
Zum einen geht es um den materiellen Bestandsschutz, der einer Beseitigungsanordnung wirksam entgegengehalten werden kann, auch wenn ein Vorhaben niemals (so) genehmigt wurde (also keinen formellen Bestandsschutz genießt).
Materiell bestandsgeschützt ist ein Bauwerk, wenn es zu irgendeinem Zeitpunkt einmal materiell rechtmäßig war, also hätte genehmigt werden können. Die Entscheidung bestätigt plastisch, dass es auf die aktuelle Rechtslage – im konkreten Fall die Überschwemmungsgebietsfestsetzung – nicht ankommt, wenn das Vorhaben zuvor rechtmäßig war.
Zum anderen geht es um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach § 34 BauGB, also um das sog. Einfügensgebot, das im vorliegenden Fall für die Vergangenheit zu prüfen war. Die Entscheidung ist aber ebenso relevant für aktuelle Fragestellungen.
Die Bauaufsichtsbehörden tun sich in der Praxis denkbar schwer damit, ungenehmigte bauliche Nutzungen in der Umgebung in die Betrachtung des Einfügensgebotes nach § 34 BauGB einzubeziehen. Wie die Entscheidung des BVerwG bestätigt, ist diese Skepsis zum Teil berechtigt:
Demnach genügt es eben nicht, dass Schwarzbauten in der Umgebung vorhanden sind, gegen die die Behörde in der Vergangenheit nicht eingeschritten ist, diese also schlicht hingenommen hat. Vielmehr muss die Behörde konkret zum Ausdruck gebracht haben, dass die Nutzungen aktiv geduldet werden.
Gerade dann, wenn es um die Kombination beider Fragestellungen, also die Prüfung der aktiven Duldung im Rahmen des Einfügensgebotes für die Annahme eines materiellen Bestandsschutzes und damit die Einordnung der Geschehnisse in der Vergangenheit geht, bestehen je nach Einzelfall erhebliche Unsicherheiten. Hier ist nicht nur Detektivarbeit erforderlich, sondern insbesondere auch eine saubere Aufarbeitung und Argumentation.
Rechtsanwältin Kathrin Schilling
Fachanwältin für Verwaltungsrecht
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
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