Wird im Rahmen eines Vergabeverfahrens über Lieferleistungen die Stellung eines Testgeräts (Musters) vor Angebotsabgabe verlangt, wird das vom Bieter eingesetzte Gerät Bestandteil des Angebots und dient dessen Konkretisierung!
Weicht das Testgerät von den als „KO-Kriterien“ im Leistungsverzeichnis definierten Anforderungen ab, ist das Angebot des Bieters zwingend und ohne weitere Aufklärung von der Vergabe auszuschließen.
VK Bund, Beschluss vom 15.11.2024 – VI 2-93/24
Der Fall:
Mehrere Unfallkliniken schrieben über eine gemeinsame Vergabestelle (AG) die Lieferung von Beatmungsgeräten europaweit aus. Die Zuschlagskriterien umfassten einen Anwendertest zur Bewertung der Funktionalität. Zunächst sollten nur die drei Bestbietenden zu einem Anwendertest geladen werden. Das Leistungsverzeichnis enthielt als „KO-Kriterien“ definierte Mindestanforderungen an das anzubietende Gerät.
Der Bieter A stellte zur Teststellung ein Gerät bereit, welches den definierten Mindestanforderungen in Teilbereichen nicht entsprach. Mit Abgabe des Angebots hatte A jedoch die Erfüllung dieser Anforderungen bejaht. Nach einem Aufklärungsgespräch schloss der Auftraggeber das Angebot des Bieters A aus. A beantragte ein Nachprüfungsverfahren und argumentierte, der Anwendertest habe nur der Bewertung des Zuschlagskriteriums „Funktionalität / Anwendertest“, nicht aber der Überprüfung von Mindestanforderungen gedient.
Das Urteil
Die Vergabekammer gibt dem Auftraggeber Recht. Der Ausschluss des Angebots sei berechtigt. Das Angebot sei maßgeblich durch den Anwendertest plausibilisiert und konkretisiert worden. In dessen Rahmen habe der Auftraggeber vergaberechtsfehlerfrei die Einhaltung der LV-Anforderungen prüfen und etwaige Abweichungen feststellen dürfen. Aus den Vergabeunterlagen sei aus der relevanten verobjektivierten Sicht eines fachkundigen Bieters „transparent und unmissverständlich erkennbar“, dass „exakt“ das angebotene Modell zum Anwendertest bereitzustellen sei und im Zuge des Tests auch die Erfüllung der LV-Anforderungen verifiziert werde.
Das Testgerät des A wich von den als KO-Kriterien definierten Anforderungen ab. Diese Abweichungen stellen eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen dar, die nach der gebundenen Rechtsfolge des § 57 Abs. 1 VgV zum zwingenden Ausschluss des Angebots führt. Raum für eine Aufklärung infolge einer angenommenen Widersprüchlichkeit des Angebots besteht bei Teststellungen nicht, denn Sinn und Zweck der Teststellung ist es gerade auch, die Konformität des Angebotsinhalts mit den Vorgaben zu belegen.
Praxishinweis
Die Tatsache, dass die Formulierungen in der Ausschreibung nicht klar und eindeutig waren, zeigt der vorliegende Rechtsstreit. Die Entscheidung verdeutlicht die Brisanz von Teststellungen im Vergabeverfahren. Bieter können Abweichungen des Testgeräts von den Anforderungen nicht nachträglich durch Erklärungen oder Anpassungen heilen. Änderungsvorschläge sind wegen § 15 Abs. 5 S. 2 VgV (Nachverhandlungsverbot) unbeachtlich. Bei Unklarheiten zu einem Anwendertest (oder auch zu der Stellung eines Musters) sollte daher unbedingt vorab eine Bieterfrage gestellt werden, welchen Zweck die Teststellung verfolgt und ob nur wertende oder auch verifizierende Merkmale berücksichtigt werden.
Rechtsanwältin Kerstin Irl, L.L.M.Eur
Fachanwältin für Vergaberecht
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
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