VGH München, Beschluss vom 20.03.2024 – 15 ZB 24.47

Der Fall:

Auf Antrag der Bauherrin hin wird eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnhauses erteilt. Hierbei werden die Abstandsflächen ausgehend vom natürlichen Gelände beurteilt, obwohl im Bereich der Außenwände Abgrabungen vorgesehen sind, so dass eine größere Wandhöhe sichtbar ist und das Nachbargrundstück tiefer liegt. Hiergegen wendet sich die Nachbarin mit ihrer Klage.

Im Klageverfahren trägt die Bauherrin vor, dass selbst dann, wenn von der durch Abgrabung veränderten Geländeoberfläche ausgegangen würde, die Überschreitung der Abstandsflächen äußerst geringfügig (gerade einmal 8 mm!) ist und sich innerhalb der Maßtoleranzen bei der Bauausführung bewegt. Diesen Einwand verwirft das Verwaltungsgericht und hebt die Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen die Abstandsflächenvorschriften auf. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Bauherrin.

Die Entscheidung:

Der VGH hält das verwaltungsgerichtliche Urteil und lehnt den Antrag der Bauherrin ab.

Schulbuchmäßig erläutert der VGH nochmals den maßgeblichen unteren Bezugspunkt für die Abstandsflächenberechnung: Auch dann, wenn der Gesetzgeber nicht mehr zwischen natürlicher und veränderter Geländehöhe unterscheidet, ist grundsätzlich auf die natürliche Geländehöhe, also auf die gewachsene und nicht die durch Aufschüttungen oder Abgrabungen veränderten Geländeoberfläche abzustellen. Ausnahmsweise gilt dies aber dann nicht, wenn das Nachbargrundstück tiefer liegt als das Baugrundstück und wenn der Bauherr das zum Nachbargrundstück weisende Gelände dauerhaft abgräbt: In diesem Fall ist die Wandhöhe des Gebäudes von der geplanten neuen Geländeoberfläche ausgehend zu berechnen. Zwar ist die sich durch eine Abgrabung ergebende Höhe der Geländeoberfläche dann nicht maßgebend, wenn die durch die Abgrabung geschaffene Vertiefung lediglich einen Teil des Baukörpers selbst darstellt, diesem unmittelbar zugeordnet ist, technisch mit ihm verbunden ist und der Funktion des angrenzenden Raumes unmittelbar dient (beispielsweise Kellerlichtschächte oder Kellereingangstreppen), ein solcher Fall ist aber vorliegend nicht ersichtlich.

Auch die Tatsache, dass die Überschreitung der Abstandsflächen nach dieser Maßgabe unter 1 cm liegt und damit äußerst geringfügig ist, lässt der VGH nicht gelten: Den Nachbarn steht ein Anspruch auf „genaue“ Einhaltung der Abstandsflächen zu. Der Einwand, der Verstoß liege innerhalb der visuell nicht wahrnehmbaren üblichen Bautoleranz, verfängt daher nicht.

Praxishinweis:

Die Entscheidung könnte überschrieben werden mit dem Motto „streng, aber gerecht“ und zeigt wieder einmal auf, wie wichtig besondere Sorgfalt in Planung und Bauausführung gerade beim Thema Abstandsflächen ist. In Zweifelfällen sollte immer ausreichend Puffer eingeplant werden, ebenso sollten bereits die Ausführungstoleranzen mit berücksichtigt werden. Eine vollständige Ausreizung der Abstandsflächenvorgaben kann – wie dieser Fall zeigt – leicht „nach hinten losgehen“.

 


Rechtsanwältin Kathrin Schilling

Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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