Jenseits aktueller Rechtsprechung sei auf ein immer wiederkehrendes Problem in Zusammenhang mit der Errichtung genehmigungspflichtiger Vorhaben hingewiesen:

Nach den jeweiligen Landesbauordnungen ist der Nachbar im Bauantragsverfahren zu beteiligen. Der Begriff des Nachbarn ist hierbei nicht konkret definiert: Nachbar ist vielmehr jeder Grundstückseigentümer (oder gleichgestellter Rechtsinhaber), der durch das Vorhaben möglicherweise in seinen Rechten verletzt werden könnte. Hierzu VGH München, Beschluss vom 22.02.2021 – 15 ZB 20.2126:

„Zu den „benachbarten“ Grundstücken i.S.d. Art. 66 Abs. 2 Satz 2 und 3 BayBO gehören nicht nur die unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke, sondern auch die Grundstücke, die im Einwirkungsbereich des Bauvorhabens liegen und belastenden Auswirkungen ausgesetzt sein können.“

Soweit üblicherweise nur die Eigentümer der direkt angrenzenden Grundstücke beteiligt werden, dient diese Praxis der Vereinfachung und wird vom Bauherrn oft begrüßt: Die Nachbarbeteiligung ist aufwändig und nicht immer harmonisch, überdies ist bei einem größeren Kreis von Beteiligten stets auch vermehrt Widerstand zu befürchten.

Bekanntermaßen können sich Bauantragsverfahren über mehrere Monate, wenn nicht Jahre hinziehen. In dieser Zeit kommt es nicht selten zu Eigentümerwechseln auf den angrenzenden Grundstücken. Wird die Genehmigung schließlich erteilt, so ist sie allen Nachbarn zuzustellen, die nicht zugestimmt haben. Diese haben dann, sofern die Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß ist, die Möglichkeit, innerhalb eines Monats nach Zustellung Rechtsmittel (je nach Bundesland Widerspruch oder Klage) einzulegen.

Üblicherweise wird dabei die Zustellung an die Personen erfolgen, die der Bauherr im Bauantrag als Nachbarn angegeben hat. Häufig wird nicht geprüft, ob zwischenzeitlich ein Eigentümerwechsel stattgefunden hat. So kommt es vor, dass die Zustellung an ehemalige oder gar bereits verstorbene Eigentümer erfolgt, ohne dass dies aufgedeckt wird.

Damit stellt sich das Problem, dass Eigentümern benachbarter Grundstücke die Baugenehmigung nicht zugestellt wird, sei es, weil diese fälschlicherweise (oder bequemlicherweise) nicht als Nachbarn im baurechtlichen Sinne beteiligt wurden, sei es aufgrund eines zwischenzeitlich eingetretenen Eigentümerwechsels. Diese Konstellation ist hochgefährlich!

Der Bauherr wiegt sich nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der trügerischen Sicherheit, die Genehmigung sei bestandskräftig geworden, und macht sich an die Errichtung des genehmigten Vorhabens.

Tatsächlich aber ist der Bescheid gegenüber dem „vergessenen“ Nachbarn nicht wirksam geworden. Die Rechtsmittelfrist von einem Monat wird nicht in Lauf gesetzt. Damit können die „vergessenen“ Nachbarn faktisch zeitlich unbegrenzt gegen die Genehmigung vorgehen, auch wenn der Bau bereits errichtet ist. Auch die Höchstfrist von 1 Jahr (§ 58 Abs. 2 VwGO) gilt hier zunächst nicht, sie ist auf den Fall der fehlenden oder fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung beschränkt. Nur und erst dann, wenn der Nachbar nachweislich von der Erteilung der Baugenehmigung oder der Bauausführung wusste oder wissen musste, beginnt die 1-Jahres-Frist.

Das einzige Korrektiv im Übrigen ist die Verwirkung: Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die eine spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment).

So oder so besteht die Gefahr, dass ein Nachbar noch Monate oder gar Jahre nach Erteilung einer vermeintlich bestandskräftigen Baugenehmigung und sogar nach Errichtung des Bauvorhabens noch – mit Erfolg – Rechtsmittel geltend machen kann. Die damit verbundenen Folgen können verheerend sein.

Vor diesem Hintergrund sei jedem Bauherrn dringend geraten, den Kreis der zu beteiligenden Nachbarn im Bauantragsverfahren möglichst großzügig zu gestalten und Zweifelsfälle stets mit einzubeziehen, auch wenn dies mit erheblichem Mehraufwand verbunden ist. In Zusammenhang mit der Zustellung des Bescheides an die nicht zustimmenden Nachbarn ist unbedingt darauf zu achten, dass die Eigentumsverhältnisse nochmals aktuell geprüft werden. Nur so kann der Bescheid die erhoffte (und für die Realisierung benötigte) Rechtssicherheit entfalten.

 


Rechtsanwältin Kathrin Schilling

Fachanwältin für Verwaltungsrecht

Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht

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