Schneller als erwartet ist am 30.10.2025 das Gesetzespaket zur Beschleunigung des Wohnungsbaus in Kraft getreten. Die wesentlichen Änderungen ergeben sich bereits aus unserem Beitrag vom 20.10.2025 unter https://www.ulbrich-wuerzburg.de/der-bau-turbo-kommt/.
Mit den Neuregelungen gehen zahlreiche Unsicherheiten und Fragestellungen einher, die – hoffentlich – nach und nach in den nächsten Monaten und Jahren einer Klärung zugeführt werden können. Der Gesetzgeber selbst sieht die Regelung des § 246e BauGB als „Experimentierklausel“ an und hat zugleich mit dem „Umsetzungslabor“ eine Plattform geschaffen, um (zunächst bis März 2026) Erfahrungen zu sammeln und die praktische Umsetzung insbesondere für Kommunen zu unterstützen. Es steht zu hoffen, dass die offenen Fragen hier zeitnah beantwortet und Unklarheiten – gegebenenfalls auch durch eine „Nachschärfung“ des Gesetzes – ausgeräumt werden können.
An dieser Stelle lediglich einige Themen zur Sensibilisierung:
Thema Amtshaftung
Zwischenzeitlich ist umfassend geklärt, dass Gemeinden in Zusammenhang mit der Versagung des gemeindlichen Einvernehmens nicht in Anspruch genommen werden können, weil die Bauaufsichtsbehörden verpflichtet sind, ein zu Unrecht versagtes Einvernehmen zu ersetzen. Dies führte zu einer gewissen „Narrenfreiheit“ auf Seiten der Gemeinde, die nicht häufig Entscheidungen politisch statt rechtlich motiviert trafen und treffen.
Die Neuregelung des Bau-Turbo sieht demgegenüber kein Einvernehmen, sondern ausdrücklich die Zustimmung der Gemeinde nach § 36a BauGB vor, die auch nicht ersetzt werden kann. Hier droht zugleich ein Haftungsrisiko für die Gemeinden, so beispielsweise im Falle der Versagung der Zustimmung unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Gemeinden sind daher gut beraten, sich selbst Leitlinien für die Zulassung von Vorhaben nach § 31 Abs. 3, § 34 Abs. 3b und § 246e BauGB zu geben, um Haftungsfälle zu vermeiden.
Thema Fiktionsfrist
Nach § 36a Abs. 1 S. 4 BauGB gilt die Zustimmung der Gemeinde als erteilt, wenn sie nicht binnen 3 Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert wird; diese Frist verlängert sich gemäß § 36a Abs. 2 noch um bis zu 1 Monat im Falle einer Öffentlichkeitsbeteiligung.
Hier ist bereits unklar, was mit dem „Ersuchen“ gemeint ist, ob also ein einfacher (vollständiger) Bauantrag ausreicht, ob es eines Antrages auf Erteilung einer Befreiung bedarf und ob dieser Antrag ausdrücklich auf die Sondervorschriften gerichtet sein muss oder nicht.
So oder so kollidiert diese Frist mit der landesrechtlichen Fiktionsfrist für die Baugenehmigung, in Bayern 2 Monate nach Ablauf der 3-wöchigen Prüffrist (Art. 68 Abs. 2 S. 1 BayBO). Im Zweifel wird diese Frist unberührt bleiben, so dass die Genehmigungsbehörden gut beraten sind, die Frist nach Art. 42a Abs. 2 S. 3 BayVwVfG zu verlängern. Unter Verweis auf den abweichenden Fristlauf sollte dies zulässig sein. Eine abschließende Klärung steht allerdings aus.
Thema Zustimmung vs. Einvernehmen
Unklar ist weiter, ob durch eine Zustimmung nach § 36a BauGB zugleich das Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt wird oder nicht. Im Zweifel sollte hiervon eher nicht auszugehen sein.
Thema Planungsverlust
Den Gemeinden muss klar sein, dass mit Anwendung des Bau-Turbo ein gewisser Planungsverlust einhergeht: Im Falle von Befreiungen nach § 31 Abs. 3 BauGB besteht das Risiko einer Selbstbindung der Verwaltung in vergleichbaren Fällen und im schlimmsten Falle die Funktionslosigkeit des Bebauungsplans. Noch extremer wirkt sich eine Zulassung von Vorhaben im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 3b aus: Wird hierdurch beispielsweise eine Bebauung in 2. Reihe ermöglicht, wird diese im Zweifel maßstabsbildend werden, so dass sich vergleichbare Vorhaben dann auch ohne Anwendung der Sondervorschrift künftig einfügen, also ein Anspruch auf „reguläre“ Zulassung bestehen kann.
Thema Mischnutzung
Die Befreiungsmöglichkeit des § 31 Abs. 3 BauGB besteht dem Wortlaut nach für Vorhaben „zugunsten des Wohnungsbaus“. Dies soll weit zu verstehen sein insoweit, als Neubauten, Aufstockungen, Erweiterungen und Umnutzungen zu verstehen sind. Die Vorschrift ist aber ausdrücklich beschränkt auf reine Wohnbauvorhaben, gemischt genutzte Bauten sind nicht umfasst. Auch wenn nach Sinn und Zweck des Bau-Turbo beispielsweise die Aufstockung von „Mischgebäuden“ um Stockwerke mit reiner Wohnnutzung umfasst sein sollte, ist nicht geklärt, ob ein solcher Fall tatsächlich umfasst ist.
Thema Umfang zulässiger Abweichungen nach § 246e BauGB
246e BauGB erlaubt eine umfassende Abweichung von jeglicher bauplanungsrechtlichen Vorgabe, wenn nur die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Damit aber wird der Anwendungsbereich streng genommen wieder deutlich eingegrenzt, und zwar insbesondere in den häufig beispielhaft herangezogenen Fällen der Art der baulichen Nutzung wie die Zulassung einer Wohnnutzung im Gewerbegebiet: Hier stellt sich die Frage, ob andere Eigentümer von Grundstücken im Gewerbegebiet nicht mit Erfolg einen Gebietserhaltungsanspruch gegen das Vorhaben geltend machen können, der als nachbarlicher Belang in der Abwägung zu berücksichtigen ist. In diesem Fall wäre der Anwendungsbereich deutlich reduziert. Auch insoweit ergibt sich eine erhebliche Unsicherheit.
Fazit
Auch wenn die Möglichkeiten, die der Gesetzgeber mit dem Bau-Turbo eröffnet hat, vielfältig und weitreichend sind, eröffnen die neuen Regelungen zahlreiche Unsicherheiten und Probleme. Ob seitens der Kommunen in Anbetracht dieser Umstände und insbesondere der beschrieben Haftungsrisiken die Bereitschaft besonders hoch sein wird, den Bau-Turbo überhaupt (zumindest in absehbarer Zeit) anzuwenden, darf bezweifelt werden.
Rechtsanwältin Kathrin Schilling
Fachanwältin für Verwaltungsrecht
Fachanwältin für Bau- und Architektenrecht
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